Um vier Uhr piepste die Weckerarmada, wir hatten drei Stück gestellt. Raus aus der Koje, viel Kaffee, alles einpacken und los, wir wollen das ehemalige Atomtestgelände Semipalatinsk besuchen, auch genant das Polygon. Eigentlich benötigt man dafür eine Sondererlaubnis, aber der Zugang wird nicht kontrolliert, das Gebiet ist hunderte Quadratkilometer groß, und so früh wird wohl kaum jemand auf den Beinen sein.




Bei Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg, 60 km nach Osten auf der Regulären Straße, dann auf einer Piste 60 km nach süden, wo in den 60gern und 70gern regelmäßig überirdische Atomtests stattfanden. Insgesamt 470 mal brannte die Steppe. Die Bewohner tranken am Abend vorher oft Wodka, um die Folgen der Strahlung zu mildern, nur leider war auch damals schon bekannt, dass nur weg ziehen, also Abstand gewinnen, hilft. Aber dafür waren die meisten zu arm.




Auch wenn das Gebiet laut Regierung gereinigt worden sei, ließen wir es nicht darauf ankommen. Noch immer kann der Boden Plutonium-Partikel enthalten, die zwar mit ihrer Alpha-Strahlung nur geringe Eindringtiefe haben, aber das Zeug ist so giftig, dass es nicht in den Körper gelangen sollte. Was ist zu tun? Staubschutz, eine solide Atemmaske (der Grenzer hielt mich für blöde, als er das Teil in unserem Gepäck gefunden hatte), einen Maleranzug, um die Kleidung zu schützen...




.., und vor allem Überschuhe, um die eigenen Schuhe sauber zu halten. Auch in das Auto durfte kein Dreck kommen. Also musste alles, was dreckig wurde, vor Ort gelassen werden. Nichts anfassen, nichts ablegen, langsam bewegen.




Wir suchten uns einen Ort aus, an dem wir das Auto verließen, ein zweites Mal aussteigen gab unsere Ausrüstung nicht her.




Rund um den Atombomben-Abwurfplatz standen Betontürme, die für Vermessungen und Beobachtungen dienten. Nach hinten waren sie mit einem Beton-Keil abgestützt, der die Energie der Explosionen auffangen sollte.




Hier seht ihr den Blick auf das Abwurfgelände, über dem die Bomben aus dem Flugzeug abgeworfen wurden. Die Detonationen fanden mehrere hundert Meter über dem Boden statt, weshalb keine Krater entstanden. Die Natur hat sich die Steppe inzwischen wieder zurück geholt. Wir konnten keine Spuren der Bomben mehr erkennen.




Im Innenraum ist nicht mehr viel zu erkennen.




Hunderte Bunker und Dreiecksstelen bildeten den Detonationskreis. 60 km entfernt liegt noch ein Kratersee, wo versucht wurde, ob es möglich sei, Aushubarbeiten mit Atombomben vorzunehmen. Den besuchten wir aber nicht, weil dort die Radioaktivität bis heute zu hoch ist.




Nach gut einer Stunde fuhren wir wieder zurück. Es ist schon beklemmend zu sehen, dass ganze Landstriche mit Atomwaffen zerstört worden sind, nur weil irgendwelche Idioten über Jahrzehnte hinweg Schwanzvergleich geprobt haben. Nicht nur die Russen haben diese Verbrechen auf dem Kerbholz, auch die Amerikaner, Briten, Franzosen, Chinesen, Inder und Pakistani sind auf dem gleichen Irrsinn aus. Die Kindersterblichkeit hier in der Region ist bis heute massiv erhöht, das durchschnittliche Lebensalter deutlich reduziert und die beliebteste Krankheiten ein bunter Strauß an Krebsarten. Und wofür das alles? Um ein Waffenarsenal aufzubauen, mit dem die Erde mehrfach zerstört werden könnte. Das ein Krieg nur Verlierer hervorbringt ist inzwischen mehrfach empirisch belegt. Aber Waffen zu entwickeln, die gleich die gesamte Menschheit bedrohen, habe ich noch nie verstanden. Zurück zur Realität und ihren kleinen Problemen: Auf der Rückfahrt leuchtete die Warnleuchte unserer Handbremse auf. NICHT SCHON WIEDER. Die hatten wir doch erst für 1800,- Euro richten lassen




Als wir besprachen, was wir mit der Handbremse anstellen sollte, umringte uns plötzlich eine Kuherde. Egal, erst mal die Bremse bloß nicht bewegen, damit sich der Stellmotor nicht wieder festfrist. Wie man ohne Handbremse parkt, haben wir im letzten Urlaub gelernt. Nur diesmal durften wir den Schlüssel nicht abziehen, da sonst die Bremse automatisch zu und kaputt geht.




Da wir beide hunde müde waren, machten wir uns ein Lager an dem Fluß und schliefen erst mal eine Stunde. Der Reihenfolge nach: als erstes muss das Auto gewaschen werden.




Das erledigte ein junger Mann für uns in Semei, dem Ehemaligen Semipalatinsk.




Das Auto glänzte wieder wie neu.




Dann kamen die Hinterräder runter und ich versuchte mit einer Anleitung die Bremse neu zu justieren, was in einer Stunde mit Saskias Hilfe erledigt war. Noch immer nicht getrauten wir uns, die Bremse zu ziehen, denn wenn sie Festsäße, stünden wir halt irgendwo auf einem Parkplatz und könnten das Auto nicht mehr bewegen. Also Fuhren wir vor eine Autowerkstatt und betätigten die Bremse: Sie funktionierte. Das Warnlicht ging aus. Sie ging auch wieder auf. Alles ok, was waren wir erleichtert. Also weiter zum Übernachtungsplatz.




Das Anatomische Museum in Semei, in dem eine Ausstellung über die Folgen der Atomtests zu sehen sei, hatte leider geschlossen, so fuhren wir noch 70 km weiter nach Osten, wo wir einen Campingplatz vermuteten. Der Campingplatz war verwaist, aber direkt im Anschluß war eine Ferienanlage, wo uns die Scheffin freundlich aufnahm. Auf die Frage nach dem Preis: tippte sie in Google-Übersetzer per Handy ein: Wenn ihr lieb seid, gar nichts. Zwar hatten wir dort keine Dusche, aber bekanntlich läßt sich dieses Problem mit etwas Wasser, einem Gaskocher und einer Solardusche lösen.



 


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